Kinder – das Wertvollste unserer Gesellschaft

    Terre des hommes (Tdh) ist das führende Schweizer Kinderhilfswerk. Programme in den Bereichen Gesundheit, Kinderschutz und Nothilfe unterstützen jedes Jahr mehr als vier Millionen Kinder und Mitglieder ihrer Gemeinschaften in über 30 Ländern. «Wir streben nach einer Welt, in der die Kinderrechte – wie sie in der Kinderrechtskonvention festgelegt sind – immer respektiert werden. Einer Welt, in der Kinder in einem sicheren Umfeld aufwachsen und Akteure des Wandels werden, den sie sich für die Welt wünschen», sagt Barbara Hintermann, Generaldirektorin Terre des hommes Lausanne. Sie gibt hier einen Einblick in das vielfaltige Schaffen dieser gemeinnützigen Organisation – eine Arbeit die wichtiger denn je ist.

    (Bilder: zVg) Barbara Hintermann, Generaldirektorin Terre des hommes Lausanne: «Trotz tragischen Momenten finde ich immer wieder den Glauben, dass wir einen Unterschied im Leben von Kindern, Müttern und Gemeinschaften machen können in Zusammenarbeit mit den Betroffenen.»

    Terre des hommes setzt sich seit 1960 weltweit für die Einhaltung von Kinderrechten ein. Sind die Herausforderungen kleiner geworden?
    Barbara Hintermann: Als Terre des hommes (Tdh) vor 60 Jahren gegründet wurde, waren Kinderrechte in keiner Weise formalisiert. Das änderte sich, als 1989 die UNO-Konvention über die Rechte des Kindes verfasst wurde. Regierungen müssen nun über ihre Fortschritte bei der Umsetzung der Konvention Bericht erstatten, was uns ein Bild davon vermittelt, wie Kinderrechte verwirklicht werden – oder, in vielen Fällen, nicht verwirklicht werden. Dies ist ein gemischtes Bild: Einerseits sieht die Lage in bestimmten Bereichen der Kinderrechte, in denen keine ausreichenden Fortschritte erzielt werden, manchmal düster aus. Andererseits ist das Erkennen von Problemen der notwendige Ausgangspunkt, um sie anzugehen. In unserer Lobbyarbeit als Teil der breiteren Gemeinschaft von Kinderrechtsorganisationen arbeiten wir mit der Konvention als Leitstern, um sicherzustellen, dass die Regierungen die Versprechen, die sie den Kindern gegeben haben, auch einhalten.

    Welche Bilanz können Sie bezüglich des vergangenen Jahres ziehen?
    2022 war ein intensives und auch schwieriges Jahr für Tdh: Während sich viele Länder langsam von der Pandemie erholten, brach in der Ukraine durch den Angriff Russlands ein internationaler Krieg aus, der enorme humanitäre Folgen kreiert. Andere Krisen – wie die Nahrungsmittelknappheit, Hungersnöte oder die Treibstoffkrise – führten zu Inflation und wirtschaftlichem Druck, was das ohnehin schon schwierige Leben von Millionen von Menschen noch weiter erschwerte. Menschen, die bereits unter den Auswirkungen von bewaffneten Konflikten, Gewalt und des Klimawandels zu leiden hatten, waren am wenigsten in der Lage, diese Mehrfachbelastungen aufzufangen.

    Wie geht es den Kindern auf der Welt?
    Eigentlich sollten wir diese Frage direkt den Kindern stellen. Im Rahmen unserer Programme erleben wir, dass Millionen von Kindern weiterhin unter sehr schwierigen Bedingungen leben. Ihre körperliche und geistige Gesundheit wird durch bewaffnete Konflikte und Gewalt beeinträchtigt. Sie sind gezwungen, ihren gewohnten Lebensraum aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels zu verlassen. Wenn sie unterwegs sind, sind Kinder in hohem Masse Missbrauch, Gewalt und Kinderarbeit ausgesetzt. Kinder müssen vor jeglicher Form von Gewalt und Missbrauch geschützt werden, und deshalb muss der Kampf für die Wahrung ihrer Rechte weitergehen. Kinder verdienen unsere grösste Aufmerksamkeit, denn sie sind das Wertvollste unserer Gesellschaft.

    Der Einsatz von Terre des hommes ist breitgefächert: Welche Projekte können Sie hervorheben?
    Wir konzentrieren uns auf drei Programme: Gesundheit von Mutter und Kind, Migration und Zugang zu einer kindergerechten Justiz. In Burkina Faso haben wir IeDA (kurz für «Integrated e-diagnostic Approach») entwickelt, ein digitales Tool für Tablets, welches die Diagnose und medizinische Behandlung von Kindern verbessert. IeDA hatte eine positive Auswirkung auf die Gesundheitsversorgung von Kindern in 80 Prozent der Regionen in Burkina Faso, in denen es angewendet wird. Wir setzen uns auch für den Schutz von Kindern auf ihrer Migrationsroute ein. In sogenannten Fablabs können Kinder ein Handwerk oder eine Tätigkeit erlernen und erhalten zugleich psychologische Unterstützung. Ziel ist es, Kindern Zugang zu besseren Möglichkeiten zu verschaffen und ihre Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern. In allen unseren Programmen stärken wir die aktive Beteiligung der Kinder und ihre Selbstbestimmung. So erfahren wir, was Kinder brauchen und welche Art von Unterstützung sie sich wünschen.

    Sprachrohr für die Kinder: Terre des hommes will die Relevanz und die Qualität ihrer Arbeit stärken für die Kinder und ihre Familien und Gemeinschaften.

    Die Not ist gross und Unterstützung ist an vielen Orten gefragt: Wo liegt zurzeit der grösste Handlungsbedarf?
    Kontexte wie Afghanistan, die Ukraine und die Sahelzone werden unsere grösste Aufmerksamkeit benötigen, da die humanitären Bedürfnisse schon heute enorm sind und durchaus noch ansteigen können. Grosser Handlungsbedarf besteht nach wie vor auch im Gesundheitsbereich. Es sterben heute immer noch mehr als 5 Millionen Kinder vor dem 5. Lebensjahr, was ganz einfach nicht akzeptierbar ist. Deshalb werden wir beispielsweise unser digitales Gesundheitssystem weiter ausbauen und weiterhin Gesundheitspersonal ausbilden, um die Pflege der Kinder und Mütter stetig zu verbessern.

    Was sind wichtige Projekte in der Schweiz?
    Wir sind sehr engagiert am Internationalen Institut der Kinderrechte. Kürzlich haben wir offene Onlinekurse für alle Berufsgattungen, die mit Kindern arbeiten, aufgezogen, mit dem Ziel, die Kenntnisse über Kinderrechte zu verbessern. Wir engagieren uns auch mit Sensibilisierungsarbeit, wenn es um die Respektierung der Kinderrechte geht. Zudem reagieren wir auf Anfragen von Schweizer Unternehmen und Institutionen, welche unsere Expertise im Bereich des Kinderschutzes benötigen.

    Ein weiterer Fokus des Engagements in der Schweiz liegt auf der Hilfe für geflüchtete Kinder und ihre Familien, im Speziellen die Kinder aus der Ukraine. Was hat Terre des hommes bis jetzt hier bewirkt?
    Tdh führt keine direkten Hilfsprojekte in der Schweiz für Flüchtlinge durch. Wir unterstützen ukrainische Flüchtlingsfamilien in Nachbarländern der Ukraine und leisten humanitäre Hilfe für die intern vertriebenen Familien im Westen des Landes.

    Beispielsweise die Freiwilligengruppe Aargau unterstützt Ihre Projekte durch Öffentlichkeitsarbeit und Mittelbeschaffung. Welche Bedeutung haben die jeweiligen Freiwilligengruppen?
    Die Freiwilligengruppen leisten einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung der Bevölkerung für Kinderrechte. Ausserdem generieren sie mit ihren Aktionen Geldmittel, um unsere Projekte zu unterstützen. Wir sind stets auf der Suche nach neuen Freiwilligen und freuen uns, wenn uns Leute bei den Aktionen unterstützen – beispielsweise beim historischen Orangenverkauf anfangs März. Ganz besonders würde es mich freuen, wenn die junge Generation sich den Freiwilligengruppen anschliessen würde.

    Wie setzt Terre des hommes Spendengelder ein, wie läuft die Hilfe vor Ort konkret ab?
    81 Prozent unserer Spenden gehen direkt in die Finanzierung von Hilfsaktivitäten ein. Mit den restlichen 19 Prozent finanzieren wir Personal- und Infrastrukturkosten, sowie auch Fundraisingaktivitäten und Innovation. Ein Grossteil unserer Projekte wird mit lokalen Partnerorganisationen durchgeführt, da diese tief in der Gesellschaft verankert sind und so auch entsprechende soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Kenntnisse mitbringen. Der Einbezug der Betroffenen liegt uns auch am Herzen, denn sie wissen genau, was sie an Unterstützung benötigen.

    Welchen Stellenwert haben Netzwerke für Terre des hommes?
    Wir müssen unsere Kräfte mit anderen Organisationen vereinen, um gemeinsam eine stärkere Wirkung zu erreichen. Tdh hat sich formellen Kinderrechtsnetzwerken angeschlossen, auf nationaler und auch internationaler Ebene. Wir sind Mitglied der internationalen Allianz Joining Forces, welche Kinderrechtsorganisationen vereint, um sich für die Wahrung der Kinderrechte einzusetzen. Auf Schweizer Ebene sind wir Mitglied bei Allianz Süd, welche sich für globale Gerechtigkeit engagiert. Ausserdem sind wir seit letztem Jahr auch Mitglied der Organisation Climate Action Accelerator in Genf, welche NGOs dabei unterstützt, ihren CO2-Fussabdruck bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Dies ermöglicht uns auch, von den Erfahrungen der anderen Organisationen zu lernen.

    Welche Ziele wollen Sie mittelfristig erreichen?
    Wir wollen die Relevanz und die Qualität unserer Arbeit stärken für die Kinder und ihre Familien und Gemeinschaften. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, die Visibilität und die Positionierung unserer Organisation in der Schweiz und auf internationaler Ebene als Kinderrechtsorganisation zu verstärken und somit auch weiterhin als Sprachrohr für die Kinder zu dienen. Zudem verfolgen wir stets unser Ziel, eine nachhaltige Finanzsituation zu sichern und eine attraktive Arbeitgeberin mit einer zeitgerechten Personalpolitik und einer Führungsstruktur zu sein, welche unseren Mitarbeitenden Anerkennung verschafft.

    Interview: Corinne Remund


    Terre des hommes ist eine 1960 gegründete unabhängige, neutrale und unparteiische Schweizer Organisation, die sich dafür engagiert, bedeutsame und nachhaltige Veränderungen im Leben von Kindern und Jugendlichen zu bewirken, insbesondere der am stärksten gefährdeten. Es gilt, ihr Wohlergehen und die effektive Erfüllung ihrer Rechte zu gewährleisten, wie sie in der Kinderrechtskonvention und in anderen relevanten Menschenrechtsinstrumenten festgelegt sind. Um einen Unterschied zu machen, legt Terre des hommes besonderen Wert auf die Bereiche der Gesundheit von Mutter und Kind, des Zugangs zur Justiz und der Migration von Kindern und Jugendlichen. Terre des hommes fördert die Partizipation von Kindern und Jugendlichen und setzt sich für die Achtung der Kinderrechte ein, indem sie ihnen hilft, ihre Bedürfnisse und Interessen auszudrücken. Terre des hommes arbeitet in fragilen Umgebungen und Konfliktgebieten, aber auch in stabilen Umgebungen.

    CR

    www.tdh.ch

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