«Wir müssen dynamisch bleiben!»

    Der Schweizer Heimatschutz SHS setzt sich dafür ein, dass Baudenkmäler der Schweiz verschiedener Epochen vor dem Abbruch bewahrt werden und weiterleben. Die Non-Profit-Organisation informiert die Bevölkerung mit ihren Publikationen über die Schätze der Schweizer Baukultur und engagiert sich auch auf politischer Ebene. Patrick Schoeck-Ritschard, Kunsthistoriker und Stv. Geschäftsführer des Heimatschutzes über die vielfältige Tätigkeit des SHS, sowie Herausforderungen und Siedlungsentwicklung in der Schweiz. Aktuell fordert der SHS mit den Doppelinitiativen Biodiversität und Landschaft, griffige Massnahmen zur Erhaltung unserer vielfältigen Natur.

    (Bild: zVg) Die Stiftung Ferien im Baudenkmal erweitert ihr Angebot: Ab diesem Jahr kann man in der Dachwohnung «Du Bourg» in der historischen Altstadt Biel spätmittelalterliche Baukunst erleben.

    Der Schweizer Heimatschutz besteht seit über 100 Jahren. Wie sensibilisiert ist die Bevölkerung dafür?
    Patrick Schoeck-Ritschard: Der Schweizer Heimatschutz ist tatsächlich eine sehr traditionsreiche Organisation. Sie wurde 1905 gegründet, um zu erklären, dass man die Zerstörung der Baudenkmäler und der Umwelt durch die Industrialisierung nicht einfach so hinnehmen will. Wenn wir die starke bauliche Entwicklung heute anschauen, merkt man: Die Themen von damals sind – unter anderen Vorzeichen – auch nach einem Jahrhundert immer noch aktuell.

    Verfügt die Schweiz über viele Baudenkmäler und gibt es da noch viel zu schützen, was abgerissen werden könnte?
    Die Schweiz ist und war ein kultureller Schmelztiegel im Herzen von Europa. Kaum irgendwo in Europa finden sich auf so kleiner Fläche so viele unterschiedliche Bauernhäuser und Landschaften. Diese Vielfalt und die dahinterstehende Handwerkskunst sind heute akut bedroht: Überall werden Häuser abgebrochen, und an ihrer Stelle entsteht leider zu oft moderne Überbauungen – globalisierte Standardware.

    Welchen Stellenwert haben Baudenkmäler in der Schweiz im Zeitalter der Digitalisierung?
    Die Globalisierung und die Digitalisierung bringen Menschen und Waren aus der ganzen Welt zusammen. Unsere Kultur und unser Handeln werden damit internationaler. Aber sehnen wir uns nach Reisen nicht wieder zurück nach unserer vertrauten Umgebung? Das Zuhause ankommen wird künftig wichtiger werden. Wir wollen dafür sorgen, dass unser Lebensumfeld – bei allem Wandel – diese nötige Vertrautheit und Geborgenheit bietet.

    Wie gestaltet sich in der Schweiz die Siedlungsentwicklung in Bezug auf schützenswerte Baukulturen?
    Die Schweizer Stimmberechtigten haben mehrfach an der Urne erklärt, dass wir keine weitere Zersiedelung mehr wollen. Das ist wichtig und richtig. Dies erhöht im Gegenzug natürlich den Druck auf unsere Baudenkmäler und Ortsbilder – das Lebensumfeld von uns allen. Die Frage der Stunde lautet: Wie schaffen wir es, näher zusammenzurücken und zugleich die Qualitäten unserer Dörfer und Städte zu erhalten, oder gar zu verbessern.

    Was sind die wichtigsten Leistungen des Heimatschutzes?
    Ohne unseren zivilgesellschaftlich organisierten Verein gäbe es vermutlich bis heute keinen griffigen Natur- und Heimatschutz in der Schweiz. Nicht zu vergessen: Erst in den 1960er Jahren wurden überhaupt erst Gesetze zum Schutz unserer Landschaften und Ortsbilder geschaffen. Und ohne unser Engagement im Bündnis mit anderen Umweltorganisationen könnten unsere wertvollen Landschaften heute noch gesetzlich legitimiert, schonungslos bebaut werden.

    (Bild: zVg) Patrick Schoeck-Ritschard, Kunsthistoriker und Stv. Geschäftsführer des Heimatschutzes: Kaum irgendwo in Europa finden sich auf so kleiner Fläche so viele unterschiedliche Bauernhäuser und Landschaften.

    Was sind die grössten Herausforderungen für Ihre Non-Profit-Organisation?
    Der Schweizer Heimatschutz muss sich und sein Wirken selbst finanzieren. Und er muss sein Handeln beständig gesellschaftlich legitimieren. Wir müssen dort eingreifen, wo tatsächlich der Schuh drückt. Und wir müssen unsere Anliegen dort kommunizieren, wo sich die Menschen aufhalten – etwa in den Sozialen Medien oder vor Ort im direkten Gespräch. Wir müssen also dynamisch bleiben.

    Die Stiftung Ferien im Baudenkmal macht in diesem Jahr zwei Ferienwohnungen in Biel erlebbar. Welche Idee steckt hinter diesem Ferienangebot?
    Die Menschen suchen heute nach authentischen Erlebnissen. Die Ferienhäuser unserer Stiftung Ferien im Baudenkmal laden zum Wohnen in altehrwürdigen Gemäuern ein und schaffen damit ein echtes Erlebnis. Die Gäste nehmen dieses einmalige Gefühl aus ihren Ferien mit – und werden so ganz selbstverständlich für den Wert des gebauten Erbes sensibilisiert. Und ebenso wichtig ist: Durch die Vermietung der Häuser und Wohnungen retten wir Gebäude, die sonst zerfallen würden.

    Wie viele weitere Baudenkmäler stehen für Ferien zur Verfügung?
    Aktuell können Ferien in rund dreissig historischen Objekten gebucht werden. Im Moment wird eine ganze Zahl von Häusern in allen Landesteilen renoviert und dem Publikum zugänglich gemacht. Sie ergänzen nach und nach unser Angebot. Meine Familie verbringt gerne ihre Ferien in diesen historischen Häusern. Und ich kann diese etwas andere Art von Ferien nur empfehlen.

    Der diesjährige Wakkerpreis geht an die Stadt Langenthal. Nach welchen Kriterien wird diese Auszeichnung vergeben?
    Seit 1972 zeichnet der Schweizer Heimatschutz jährlich eine Gemeinde aus, die sich vorbildlich um ihr Ortsbild kümmert. Die Stadt Langenthal zeigt deutlich, was wir darunter verstehen: Die gebauten Zeugnisse der Vergangenheit werden geschätzt und geschützt, und zugleich versucht man die Stadt so zu entwickeln, dass die Siedlungsqualität erhalten bleibt und verbessert wird. Das gelingt nur, wenn die Bevölkerung, die Politik und die Verwaltung am selben Strick ziehen.

    Welche Bedeutung hat dieser Preis für die Schweizer Siedlungsentwicklung?
    Wie die Dörfer und Städte aussehen, entscheiden die Gemeinden in der föderalistischen Schweiz noch immer weitgehend selbst. Und viele Gemeinden sind auf der Suche nach Vorbildern, die vormachen, wie gute Resultate im Zwiespalt zwischen Erhalt und Entwicklung entstehen können. Die Dutzenden von Anfragen nach Führungen, die jedes Jahr bei den Wakker-Gemeinden eingehen, zeigen, wie gross das Interesse an diesen Leuchttürmen ist.

    (Bild: SHS) Die einstige Vielfalt der Kulturlandschaften in der Schweiz ist das Resultat einer jahrhundertelangen Auseinandersetzung mit der richtigen Bewirtschaftung des Grund und Bodens. Hier das Valle Bavona.

    Der Heimatschutz macht Routenvorschläge durch bäuerliche Kulturlandschaften. Was bedeuten die unter starkem Druck stehenden traditionellen Agrarlandschaften heute für uns?
    Die einstige Vielfalt der Kulturlandschaften in der Schweiz ist das Resultat einer jahrhundertelangen Auseinandersetzung mit der richtigen Bewirtschaftung des Grund und Bodens. Vor der Erfindung des Traktors und des Kunstdüngers war die nachhaltige Landwirtschaft zwingend. Nur wenn man die Böden richtig bewirtschaftete, konnte eine Familie über Generationen auf dem Land leben. Das lädt zum Nachdenken ein.

    Was ist uns ihre Pflege wert?
    Im internationalen Agrarmarkt spielen Kulturlandschaften keine Rolle. Es liegt an der Gesellschaft, zu definieren, was die Pflege der Landschaften kosten darf. Jeder Einzelne entscheidet, was und wo er seine Lebensmittel einkauft. Und ohne Subventionen geht es leider nicht. Für dieses Preisschild ist das Parlament in Bern zuständig.

    Wie engagiert sich der Heimatschutz auf politischer Ebene und wo ist gerade Handlungsbedarf?
    Im Bündnis mit anderen Umweltorganisationen haben wir vor einem Monat zwei nationale Volksinitiativen lanciert: Die Landschafts- sowie die Biodiversitätsinitiative. Wir wollen damit erreichen, dass der Schutz und die Schonung unserer Landschaften und Ortsbilder endlich ernst genommen werden. Und wir wollen griffige Massnahmen, um dem verheerenden Verlust der Biodiversität in unserem Land entgegenzutreten.

    Interview: Corinne Remund


    Über den Schweizer Heimatschutz

    Der Schweizer Heimatschutz (SHS) ist die führende Schweizer Non-Profit-Organisation im Bereich Baukultur. Er ist ein Verein mit 27000 Mitgliedern und Gönnern und besteht seit 1905 als Dachorganisation von 25 kantonalen Sektionen. Er setzt sich dafür ein, dass Baudenkmäler aus verschiedenen Epochen vor dem Abbruch bewahrt werden und weiterleben. Er fördert aber auch zeitgemässe, gute Architektur bei Neubauten.

    Jährlich verleiht der SHS einer Gemeinde den Wakkerpreis für ihre vorbildlichen Leistungen in der Siedlungsentwicklung und zeichnen mit dem Schulthess Gartenpreis eine aussergewöhnliche Arbeit auf dem Gebiet der Gartenkultur aus. Mit dem Verkauf des Schoggitalers unterstützt er seit Jahrzehnten wegweisende Projekte in Heimat- und Naturschutz.

    Weitere Informationen unter: www.heimatschutz.ch

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